Europäischer Rat: Einigung über den EU-Haushalt und Vorgaben zur Bewältigung der Pandemie
Auf seiner Dezember-Tagung (10./11.12.2020) hat der Europäische Rat eine ganze Reihe schwieriger, für die Zukunft der Europäischen Union wichtiger Themen bewältigt. Insbesondere einigte er sich über den EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre (mehrjähriger Finanzrahmen) und machte konkrete Vorgaben für den europäischen Beitrag zur Bewältigung der Covid-19 Pandemie. Es war übrigens erst die zweite „physische“ Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs seit dem Ausbruch der Pandemie.
1. Durch den mehrjährigen Finanzrahmen (2021-2027) und den zur Bewältigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid19-Pandemie neu geschaffenen Wiederaufbaufonds wird die Europäische Union für die nächsten sieben Jahre mit den finanziellen Ressourcen ausgestattet, um sich insbesondere dem Klimawandel und dem digitalen Wandel zu stellen und um vor allem auch die (wirtschaftlichen) Folgen der Pandemie zu überwinden. Der Finanzrahmen beläuft sich auf 1,8 Billionen €, wovon 750 Millionen € dem Wiederaufbaufonds (von 2021-2023) vorbehalten sind. Mit der Finanzierung fast der Hälfte dieses Fonds (360 Mio.€) aus Krediten (anstatt nur aus eigenen Einnahmen und aus Beiträgen der Mitgliedstaaten) hat die EU dabei Neuland betreten.
Viel Wirbel hatte in den Verhandlungen die sog. „Rechtsstaatkonditionalität“ ausgelöst.
Rechtsstaatlichkeit ist einer der Werte, auf die sich die Union gründet. Ihre Beachtung ist auch Bedingung für einen Beitritt zur Union. In den letzten Jahren sind in einigen Mitgliedstaaten allerdings schwerwiegende Rechtsstaatsmängel aufgetreten, etwa hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz, der Freiheit von Wissenschaft und Forschung oder der Reduzierung der Korruption. Besondere Beachtung hat dabei die Lage in Polen und in Ungarn gefunden; schwerwiegende Rechtsstaatsdefizite gibt es aber auch in anderen Mitgliedstaaten. Um solche Defizite zu beheben, hatte die Kommission im Rahmen des Haushaltspakets vorgeschlagen, die Zahlung von EU-Geldern an die einzelnen Mitgliedstaaten an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. Andere schon bestehende Instrumente - etwa Vertragsverletzungsverfahren gegen die betreffenden Länder oder die Einleitung des im Vertrag bei nachhaltigen Rechtsstaatsmängeln vorgesehenen Sanktionsverfahrens - haben sich bislang als nicht sehr wirksam erwiesen. Vertragsverletzungsverfahren greifen nur bei Verletzungen von spezifischen EU-Regelungen und die für das Sanktionsverfahren erforderliche Einstimmigkeit im Europäischen Rat ist schwer zu erreichen.
Mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung einer solchen „Konditionalität“ haben sich Polen und Ungarn nicht durchsetzen können. Schon im Juli einigte sich der Europäische Rat auf die Bedingungen und das Verfahren zur Anwendung der Rechtsstaatskonditionaltät, musste diese aber auf Drängen des Europäische Parlaments später „nachbessern“. Das wiederum veranlasste Polen und Ungarn, eine Blockierung des gesamten Haushaltspakets durch ihr Veto anzudrohen. Diese Drohung war ernst zu nehmen, weil die Entscheidung über den mehrjährigen Finanzrahmen Einstimmigkeit im Rat erfordert. Um ein solches Veto abzuwenden, hat sich der Europäische Rat schließlich im Dezember auf eine Reihe von politischen Erklärungen zur Anwendung der Rechtsstaatskonditionalität verständigt.
An diesen (insgesamt über drei Seiten langen) Erklärungen ist viel Kritik geübt worden; man sei Polen und Ungarn zu weit entgegengekommen und habe das neue Instrument unnötig abgeschwächt. Allerdings ändern diese Erklärungen nichts an dem eigentlichen, allein verbindlichen Verordnungstext. Sie ermöglichten es aber Polen und Ungarn, ihr Gesicht zu wahren und zuhause zu verkünden, sie hätten die Schlacht gewonnen - völlig zu Unrecht übrigens. Trotz aller, nicht ganz unberechtigter Einwände, die neue Konditionalität sei zu schwach ausgestaltet, ist es dennoch ein wesentlicher Fortschritt, dass die Beachtung des Rechtstaatprinzip als Bedingung für die Zahlung von EU-Geldern nunmehr gesetzlich festgelegt ist.
Das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit aber noch nicht gesprochen. Polen und Ungarn wollen den Europäischen Gerichtshof anrufen, um die Rechtsstaatskonditionalität auf ihre Vereinbarkeit mit den europäischen Verträgen überprüfen zu lassen.
Mit der rechtzeitigen Verabschiedung der Beschlüsse zum mehrjährigen Finanzrahmen endet eine durch und durch erfolgreiche Ratspräsidentschaft Deutschlands. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, geht denn auch in seiner Erklärung zum Abschluss des Europäischen Rates weit über diplomatische Höflichkeit hinaus: „Zuallererst möchte ich natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel allgemein für die letzten sechs Monate, insbesondere aber für diese so wichtige Angelegenheit würdigen; sie hat die Ärmel hochgekrempelt und sich mit Willensstärke, Kreativität und unermüdlichem Engagement für Europa eingesetzt, um dank einer umfassenden Vorbereitung vor und während dieser Tagung des Europäischen Rates dafür zu sorgen, dass diese positive Überraschung zustande kommt, dieser Schritt voran, mit dem sichergestellt wird, Investieren, gemeinsam Reformen durchführen, gemeinsam die gleichen Ziele verfolgen und dabei dafür sorgen, dass unsere Werte … berücksichtigt werden, denn sie bilden den Kern des europäischen Projekts.“
Wie so häufig bei grundlegenden Entscheidungen der EU ist nicht immer leicht zu verstehen, wer in der EU was macht. Eigentlich legt der Europäische Rat (also die Staats- und Regierungschefs unter Vorsitz ihres auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten) lediglich „allgemeine politische Zielvorstellungen und Prioritäten“ fest; er wird nicht selbst gesetzgeberisch tätig. So sind auch die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 10/11.12.2020 zu lesen. Die Gesetzgebung auf dieser Grundlage obliegt dann auf Vorschlag der Kommission dem mit den Fachministern der Mitgliedstaaten besetzten Rat und dem Europäischen Parlament. Dementsprechend wurden nach dem Europäischen Rat Mitte Dezember die detaillierten Verordnungen zur Umsetzung des mehrjährigen Finanzrahmens beschlossen – übrigens in bemerkenswertem Eiltempo, um deren Inkrafttreten rechtzeitig zum Jahresanfang 2021 sicherzustellen. Anders als im Europäischen Rat, der einen ständigen Präsidenten hat, rotiert im (Minister-)Rat die Präsidentschaft alle sechs Monate zwischen den Mitgliedstaaten (derzeit noch Deutschland).
2. Eingehend befasste sich der Europäische Rat auch mit der Covid-19 Pandemie. In der Tat wird die Bewältigung dieser Pandemie ein Testfall für die „europäische Solidarität“ sein.
Den Ankauf der Impfstoffe koordiniert die Kommission. Das ermöglicht eine ausgewogene Verteilung des Impfstoffes europaweit und vermeidet insbesondere, dass kleinere Mitgliedstaaten bei den Ankäufen „unter die Räder kommen“. Es ist sicherlich auch zu begrüßen, dass die EU-Mitgliedstaaten von einzelnen nationalen Notfallzulassungen der Impfstoffe zugunsten einer europaweiten Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur Abstand genommen haben, selbst um den Preis geringfügiger Verzögerungen.
Auf seiner Dezember-Tagung betonte der Europäische Rat neuerlich die Bedeutung der europäischen Ebene bei der Bewältigung der Krise. Er hob die Notwendigkeit einer intensiven Koordinierung der Anstrengungen auf EU-Ebene hervor. Der Austausch von Erfahrungen und Zukunftsplänen müsse verbessert werden. Die Kommission soll einen gemeinsamen Rahmen für Antigen-Schnelltests und die gegenseitige Anerkennung von Testergebnissen erarbeiten. Damit Impfstoffe den Bürgern zeitnah und in koordinierter Weise zur Verfügung gestellt werden könnten, sei die Entwicklung nationaler Impfstrategien erforderlich. Der Europäische Rat betonte zudem, dass die EU zur internationalen Reaktion auf die Pandemie beitragen müsse. Die Impfung „sollte als weltweites öffentliches Gut behandelt werden“.