Aktuelles aus Brüssel – 30.3.2023

Reinhard Priebe

Aktuelles aus Brüssel – 30.3.2023

Ukraine

Naturgemäß beschäftigte sich der Europäische Rat auf seiner März-Tagung wiederum ausführlich mit der Ukraine. Dass ein Drittel der 10-seitigen Schlussfolgerungen diesem Thema gewidmet ist, verdeutlicht, welche zentrale Rolle die EU – neben den Mitgliedstaaten, den internationalen Partnern und der NATO – in dieser Krise spielt. Folgende Punkte sind hervorzuheben:

Der Rat betont nochmals, wie wichtig und dringend es sei, “die Bemühungen um die wirksame Durchführung der Sanktionen auf europäischer und nationaler Ebene zu verstärken”. Die Umgehung der Sanktionen in Drittländern und durch Drittländer sei zu verhindern und zu bekämpfen. Rat und Kommission müssten alle erforderlichen Durchsetzungsinstrumente stärken und gemeinsam mit den Mitgliedstaaten einen koordinierten Ansatz entwickeln. Deutlich erkennbar ist die Sorge, dass die mittlerweile in zehn Paketen beschlossenen Sanktionen nicht so wirksam sein könnten wie beabsichtigt. Die Kommission hat übrigens einen ihrer erfahrensten ehemaligen Mitarbeiter als internationalen Sonderbeauftragten für die Durchsetzung der Sanktionen berufen.

Weiterhin begrüßt der Europäische Rat die Einigung, „der Ukraine dringend Boden-Boden-Munition und Artilleriemunition sowie – falls darum ersucht wird – Flugkörper zu liefern.“ In einer gemeinsamen Anstrengung sollen innerhalb der nächsten zwölf Monate 1 Million Artilleriegeschosse bereitgestellt werden, u.a. durch gemeinsame Beschaffung und die Mobilisierung angemessener Finanzmittel. Eine derartige „Vergemeinschaftung“ der Munitionsbeschaffung auf EU-Ebene ist bemerkenswert und wäre vor der Ukraine-Aggression undenkbar gewesen.

Der Europäische Rat beklagt auch, dass durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und “den Einsatz von Nahrungsmitteln als Waffe” die weltweite Ernährungssicherheit untergraben wurde. Die ständige Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit landwirtschaftlicher Erzeugnisse für die bedürftigsten Länder müsse gewährleistet sein. Insofern seien weltweit gemeinsame Anstrengungen nötig. Die Schwarzmeer-Getreide-Initiative der Vereinten Nationen, die “Solidaritätskorridore“ der EU und die ukrainische Initiative “Getreide aus der Ukraine“ trügen entscheidend zur Stärkung der weltweiten Ernährungssicherheit bei.

Wiederum begrüßt der Europäische Rat das Engagement und die Reformbemühungen der Ukraine und betont, wie wichtig der EU-Beitrittsprozess für das Land ist. Damit bleibt die – langfristige – Perspektive für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine weiterhin im Blick.

Verbrennermotoren

Nach langen Verhandlungen hatten Rat und Parlament sich politisch auf das Verbot neuer Verbrennermotoren ab 2035 geeinigt. Umso mehr irritierte ein „Querschuss“ aus Deutschland unmittelbar vor der förmlichen Annahme des Gesetzestextes, mit dem eine Ausnahme für sog. e-fuels durchgesetzt werden sollte. Derartige „Blockaden“ in allerletzter Minute kommen in Brüssel zwar gelegentlich vor, gehören aber nicht zum üblichen Handlungsrepertoire der deutschen Regierung. Mit seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht als größter Mitgliedstaat spielt Deutschland traditionell eine wichtige, europaweit geschätzte Vermittlerrolle, vor allem in Verhandlungssituationen, „wo gar nichts mehr geht“. Insofern hat die Bundesregierung mit dem plötzlichen Infragestellen eines mühsam erreichten Kompromisses viel politisches Porzellan zerschlagen – ganz abgesehen von einer neuerlichen Verstimmung mit Frankreich. Darüber kann auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass sich einige andere Mitgliedstaaten der deutschen Linie noch anschlossen.

Jedenfalls haben sich Rat und Parlament nicht dazu bereitgefunden, den ausgehandelten Rechtstext wegen der deutschen Forderung noch abzuändern. Ein schließlich gefundener „gesichtswahrender“ Kompromiss (FAZ: „Etappensieg für Wissing“), wonach Fahrzeuge mit Verbrennermotor, die ausschließlich klimaneutrale Kraftstoffe tanken, auch nach 2035 neu zugelassen werden können, muss noch in den nächsten Monaten in einem gesonderten Rechtsakt konkretisiert werden und dabei seine Tragfähigkeit unter Beweis stellen. Dass in Brüsseler Kreisen der auf Berliner Koalitionsstreitigkeiten zurückzuführende „messy approach“ der Bundesregierung mit den bisweilen chaotischen Verhandlungen in Brüssel selbst verglichen wurde (“much like a small EU”), gibt jedenfalls zu denken.

Fischerei- und Meerespolitik

Obwohl die EU im Bereich der Fischerei- und Meerespolitik weitreichende Kompetenzen hat, findet diese Politik neben den „großen Themen“ recht wenig Beachtung. Bemerkenswert sind insofern vier Mitteilungen, mit denen die Kommission im Februar neue Impulse zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Fischerei- und Meerespolitik angeregt hat. Die „Mitteilung zur Energiewende im Fischerei- und Aquakultursektor“ zeigt Wege zur Verringerung der derzeit untragbaren ökologischen und ökonomischen Abhängigkeit des Fischereisektors von fossilen Brennstoffen auf. Ein „Aktionsplan zum Schutz und zur Wiederherstellung von Meeresökosystemen“ soll durch eine nachhaltige und widerstandsfähige Fischerei den Beitrag der Gemeinsamen Fischereipolitik zu den Umweltzielen der EU verstärken und die negativen Auswirkungen der Fischerei auf die Meeresökosysteme verringern. In der „Mitteilung über die Gemeinsame Fischereipolitik heute und morgen“ hebt die Kommission deren drei wichtigste Grundsätze hervor, nämlich (1) ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit, (2) wirksame regionale Zusammenarbeit und (3) wissenschaftsbasierte Entscheidungsfindung. Sie schlägt insofern einen „Pakt für Fischerei und Ozeane“ vor, der eine neue Phase des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und allen Akteuren des Fischereisektors einleiten soll. Schließlich habe die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur von 2013 den Übergang von einer auf Interventionen basierten Marktpolitik zu einer dynamischen, marktorientierten, von den Interessenträgern beeinflussten Politik ermöglicht.
Die Kommission schlägt in diesen vier Mitteilungen ein sehr ambitioniertes Handlungsprogramm für die nächsten Jahre vor, das die EU, ihre Mitgliedstaaten, Interessenträger sowie internationale Partner gleichermaßen in die Verantwortung nimmt. Ob das alles ausreichen wird, um der aus bedrohten Fischbeständen und weitreichenden Umwelt- und Klimabelastungen der Meere resultierenden gewaltigen Herausforderungen Herr zu werden, bleibt abzuwarten.
In diesem Zusammenhang hat die Aufforderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, die Verwendung von Grundschleppnetzen in geschützten Meeresgebieten bis 2030 zu verbieten, in der betroffenen Fischereiwirtschaft große Beunruhigung ausgelöst. Sie könnte in der Tat das Ende der norddeutschen Krabbenfischerei bedeuten. Von „irrem Regel-Wahn der EU-Kommission“ (so die Bild-Zeitung am 17.3.2023 in einem Artikel über „EU-Angriff auf unsere Krabbenbrötchen“) kann aber keine Rede sein. Es geht vielmehr um den gerade im Fischereisektor besonders schwierigen Ausgleich zwischen Wirtschafts- und Umweltbelangen.

Viele weitere Themen…

… , die die europäischen Akteure derzeit in Atem halten, wären berichtenswert, etwa die intensiven Diskussionen zwischen der EU und den USA über die in dem „Inflation Reduction Act“ vorgesehenen amerikanischen Subventionen, die die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gefährden könnten, über mögliche Auswirkungen der schweizerischen Bankenkrise auf die europäische Wirtschaft, über die hoffentlich tragfähige Nachbesserung des sog. Nordirland-Protokolls als Teil der Brexit-Austrittsmodalitäten, über die Umsetzung des unter maßgeblicher Beteiligung des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Borell, zustande gekommenen Abkommens zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo und natürlich über die Dauerkrise der illegalen Migration in die EU.

 

 

 

 

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